Von der Schulbank ins Ausstellungsgeschehen
30. Mai 2024Das gemeinsame Projekt „Schule@Museum“ der IGS Flötenteich und der IGS Kreyenbrück bietet den Jahrgängen 9 und 10 einen wertvollen außerschulischen Lernort
Wem hören Schulklassen am ehesten zu? Gleichaltrigen, die auf Augenhöhe Wissen vermitteln. Das gilt auch für Führungen durch eine Ausstellung über Pressefotografie. Diese besondere außerschulische Lernerfahrung ist dank „Schule@Museum“ seit 2020 in der World-Press-Photo-Ausstellung im Oldenburger Schloss möglich.
Ein Vormittag im Februar, Landesmuseum Kunst & Kultur: Im Oldenburger Schloss gastiert bereits zum neunten Mal die World-Press-Photo-Ausstellung. Sie versammelt die weltbesten Pressefotos, die Jahr für Jahr von der gleichnamigen Stiftung in Amsterdam prämiert und als Wanderausstellung um die Welt geschickt werden. Mitten im Ausstellungsgeschehen: Jede Menge Schüler:innen, die sich die Fotos und die dahinterstehenden Geschichten über das Weltgeschehen anschauen. Ihre Führung wird jedoch nicht von gestandenen Museumspädagog:innen geleitet, sondern von Schüler:innen, nicht älter als sie selbst. Denn an zwei Vormittagen in der Woche führen AG-Teilnehmende von „Schule@Museum“ Schulklassen durch die Ausstellung.
Die treibenden Kräfte dahinter: Sven Kromminga, Lehrer für Gesellschaftslehre und Werte und Normen an der IGS Flötenteich, und Dirk Kravagna, Lehrer für Gesellschaftslehre, Werte und Normen sowie Niederländisch an der IGS Kreyenbrück. Mit rund 20 Jugendlichen aus Jahrgang 9 und 10 stellen sie nach dem Prinzip „Schüler:innen führen Schüler:innen“ Jahr für Jahr ein professionelles Führungskonzept für die World-Press-Photo-Ausstellung auf die Beine.
Einblicke in fremde Alltage
In 2024 haben die „Nachwuchsführungskräfte“ an sechs Vormittagen rund 600 Schüler:innen aus zwölf Schulen aus Oldenburg und dem Umland durch die Ausstellung der weltbesten Pressefotos geführt. Absoluter Rekord seit der Premiere des Projekts im Jahr 2020.
Eine Gruppe, die von Josi, Lynn und Johann aus der IGS Flötenteich geführt wird, steht gerade vor einer Fotoserie aus den Philippinen mit dem Titel „Tod einer Nation“. Auf einem der Bilder hockt ein Junge vor einer Kerze auf dem Boden. Johann fragt die Gruppe, was sie auf dem Foto sieht. Ein Schüler antwortet zögernd: „Ich glaube, dass das entweder eine Gedenkkerze für einen Verstorbenen ist, oder eine Gebetskerze. Obwohl … die Körperhaltung des Jungen sieht nicht nach einem Gebet aus ...“
„Deine erste Idee war schon richtig“, antwortet Johann, und erklärt den Kontext des Fotos: Der sechzehnjährige AJ aus Pasay City trauert um seinen Nachbarn, der von Unbekannten erschossen wurde und damit mutmaßlich eines von zahllosen Opfern im aggressiven „Krieg gegen die Drogen“ von Präsident Rodrigo Duterte ist. „Duterte ist der Meinung, dass das der einzige Weg ist, um zu verhindern, dass die Philippinen zum Narco-Staat werden. Wisst ihr, was das bedeutet?“ Als er in fragende Gesichter blickt, erklärt Johann schnell und präzise die Verstrickung politischer Institutionen in den illegalen Drogenhandel, der so zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor eines Landes werden kann.
Gründliche Recherche als Basis
Situationen wie diese machen den Mehrwert einer Führung auf Augenhöhe deutlich. Das weiß auch Lehrer Sven Kromminga: „Die Schüler:innen bringen die Inhalte viel nahbarer rüber, als es Erwachsene tun könnten.“ Hinzu kommt, dass sie sich die Fotos, zu denen sie in ihrer Führung etwas erzählen möchten, komplett selbst aussuchen. „Das war mir von Beginn an wichtig. Ich möchte niemandem die Richtung vorgeben.“
Josi erklärt: „Ich habe mir unter anderem ein Foto vom Begräbnis von Shireen Abu Akleh ausgesucht.“ Zur Vorbereitung recherchierte sie viel über die palästinensisch-US-amerikanische Al-Jazeera-Journalistin. „Das Foto ist sehr detailreich, und man braucht viel Hintergrundwissen, um das Motiv und seinen politischen Kontext zu verstehen.“ In Lynns Auswahl findet sich ein Bild aus Argentinien. Es zeigt jubelnde Fans nach dem Sieg im Endspiel der Fußball-WM 2022: „Das Foto ist sehr fröhlich – ein gutes Gegengewicht zu den vielen kritischen und grausamen Themen, denen man in der Ausstellung begegnet. Man muss während der Führung auch mal durchatmen können.“
Von New York City bis nach Venezuela
Die Begeisterung für Schule@Museum ist auch bei Dirk Kravagna von der IGS Kreyenbrück ungebrochen: „Die Schüler:innen machen von der ersten AG-Stunde bis zur ersten eigenen Führung eine riesige Entwicklung durch.“ Erst gingen sie recht unbedarft ans Projekt heran. Dann folge Nervosität, wenn der Ausstellungstermin und damit die erste Führung näher rückt. „Am Ende ist der Ehrgeiz geweckt, sich von Führung zu Führung zu verbessern und das eigene Wissen immer souveräner zu vermitteln.“
Julen und Besim von der IGS Kreyenbrück machen mit ihren Führungsgästen derweil vor einer Fotoreihe aus den USA Station. Besim erzählt routiniert über die Porträtserie „Drill ist die Stimme New Yorks“. Er selbst kennt dieses Subgenre des Raps sehr gut. „Deshalb habe ich mir die Reihe ausgesucht. Es ist spannend, Hintergrundinformationen zu den abgebildeten Artists zu erfahren.“ Auch Julen hat seine Fotos nach persönlichen Motiven gewählt. Mit dabei: eine Reportage über den Drogenkrieg in Venezuela. „Die Situation dort ist vergleichbar mit der im Nachbarland Kolumbien, der Heimat meiner Familie“, schildert Julen. „Ich habe auch eine Zeit lang dort gelebt, die Situationen auf den Fotos sind mir deshalb vertraut.“
Wenn das letzte Foto der letzten Führung besprochen wurde, gilt – zumindest für die organisierenden Lehrkräfte hinter dem Projekt: Nach der Ausstellung ist vor der Ausstellung. Denn natürlich soll „Schule@Museum“ auch 2025 wieder Einzug im Landesmuseum Kunst & Kultur halten, mit dem nächsten Jahrgang der World Press Photos. Die Erfolgsgeschichte von „Schule@Museum“ ist noch lange nicht zuende geschrieben.